UNIT.City: Ein IT-Paradies mitten in der Stadt

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew entsteht ein riesiges IT-Zentrum, UNIT.City. Kostenlose IT-Ausbildung, Campusse für Startups, moderne Büroflächen für etablierte Unternehmen und IT-Events rund um das Jahr sorgen für eine Silicon Valley Atmosphäre mitten in Europa

Wir trafen Maxim Bakhmatov in München, als er als Referent am YouthBridge-Programm teilnahm. Das ist die deutsche Version des bekannten amerikanischen Bildungsprogramms für Jugendliche mit einem Migrationshintergrund. Spezialisten aus der ganzen Welt berichten über ihre Projekte und Erfolgsgeheimnisse.

Maxim Bakhmatov arbeitet als geschäftsführender Gesellschafter des innovativen Parks UNIT.City in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und als Vorstandsvorsitzender des Start-Up-Accelerator Radar Tech. Davor sammelte er Erfahrung als Manager bei Leo Burnett und Samsung. Deutschland ist für ihn kein fremdes Land – hier gründete Bakhmatov eine IT-Firma, die an den ukrainischen IT-Riesen SoftServe verkauft wurde.
Unser Gespräch mit ihm fangen wir mit seinen Erinnerungen an Deutschland an.

Bakhmatov: Meine Firma hieß UGE UkrGermanEnterprise GmbH, ich habe sie zusammen mit einem Schulfreund gegründet. Es war das Jahr 2005, wir setzten schon damals Akzente auf Softwareentwicklung in der Ukraine. Viele ukrainische Firmen dachten nicht einmal über den Markteintritt in die westlichen Märkte nach. Ukrainische Geschäftsleute orientierten sich eher am russischen Markt.

Wir waren eine relativ kleine Firma und wir hatten ungefähr 50 Entwickler, die zwischen der Ukraine und Deutschland verteilt wurden. Vor allem hatten wir Zugang zum deutschen Markt, Kontakte zu den Kunden incl. Marketing und Vertrieb. Für Deutsche waren wir eine deutsche Firma – daran haben wir 9 Jahre lang gearbeitet.

Dann erfuhren wir von der europaweiten Expansion von SoftServe, einem der führenden ukrainischen Softwarehersteller. Es war für sie billiger ein schlüsselfertiges Geschäft zu erwerben, als selbst auf dem Markt einzudringen.

Nach der Maidan Revolution arbeitete Bakhmatov als Krisenmanager im Kiewer Ausstellungszentrum. Dieses lag regelrecht am Boden und er baute es Stück für Stück wieder auf. Doch das Schicksal machte noch eine Wendung, Bakhmatov kehrte zur IT-Branche zurück. Diesmal ging es um ein ambitioniertes Projekt, UNIT.City, das der eher untypische ukrainische Oligarch Vasyl Khmelnytsky vorantrieb. Er war einer der ersten ukrainischen Geschäftsleute, der die Bedeutung der IT-Industrie erkannte.

Das IT-Zentrum sollte auf einem ehemaligen Fabrikgelände entstehen.

Bakhmatov: Die Fabrik war eine Motorradfabrik in Kiew mit den Fabrikmaschinen der Firma BMW. Diese bekam die UdSSR nach dem Krieg als Reparationsleistung. Hier wurden bekannte sowjetische Motorräder der Marke K750 (verbesserte Version der BMW R 71) hergestellt. Das wichtigste Exportland war wiederum Deutschland. Die Fans alter BMW Motorräder kauften sie in der UdSSR und in der Ukraine. Sie waren überarbeitet, außerdem bekam man ein fast exklusives Motorrad. Es war eine "Fan"-Geschichte, denn die Bauteile wurden sozusagen originalgetreu hergestellt, solche sind sonst nirgendwo mehr zu finden.

Das letzte Motorrad wurde 2005 produziert. Danach gab es auf dem Fabrikgelände ein Lager für die beschlagnahmten Waren, einen speziellen Platz für Metallschrott und verschiedene kleine Gewerbe. Im Jahr 2009 erwarb Khmelnytsky eine stillgelegte Fabrikanlage für 10 Millionen US-Dollar.

Danach kam seine Ideenfindungsphase – Khmelnytsky reiste um die Welt und suchte nach einer Idee für das Gelände: So wurde im Jahr 2016 beschlossen, eine IT-Schule zu gründen. Dieses Projekt wird mit der Lizenz der französischen Schule "42" betrieben. Bei uns heißt sie UNIT.Factory – etwa 1900 Menschen erhalten hier – die beste kostenlose IT-Ausbildung in der Ukraine.

Die Schule 42 ist eine private, gemeinnützige Schule für Programmierer, die vom französischen Milliardär Xavier Niel mit mehreren Partnern gegründet und finanziert wurde. Die erworbenen Kenntnisse muss man nach dem Abschluss der ersten drei Jahre in der Ukraine einsetzen – das ist eine Voraussetzung für ein kostenloses Studium. An der Schule selbst wird nichts verdient.

"Dies ist unsere Investition in das Ökosystem" – diese Strategie wird von UNIT.City verfolgt.

Das Hauptziel des Projekts besteht darin, günstige Bedingungen für die IT-Branche und Start-ups zu ermöglichen, damit die UNIT.City-Bewohner an einem Ort ihre Ideen erlernen, testen und vorantreiben können.

Bakhmatov: 2017 haben wir eine Sporthalle, ein Café, eine IT-Schule und den ersten Campus für 30 Unternehmen eröffnet. Heute haben wir bereits 5 Campusse, die von rund 100 jungen Unternehmen genutzt werden. Große Unternehmen können mit ihren Niederlassungen ebenfalls einziehen.

Nach 10 Jahren beliefen sich unsere Investitionen auf 50 Millionen Dollar. Insgesamt werden die Gesamtinvestitionen bei 700 Millionen Dollar liegen. Wir haben vor, 500.000 Quadratmeter Bürofläche und 200.00 qm Wohnfläche zu bauen.

In Deutschland sind Projekte dieser Größenordnung kaum vorstellbar. Zum Vergleich: Einer der größten Startup-Campusse Deutschlands, Factory Berlin Görlitzer Park ist nur 14.000 Quadratmeter groß. UNIT.City zeichnet sich nicht nur als großes Büroprojekt aus, hier wird eine Atmosphäre wie in Silicon Valley geschafft, jedoch mitten in Europa.

Bakhmatov: Bei diesem Projekt geht es um Entwicklung, Wertschöpfung, Innovation und erst danach ums Geschäft. Wenn wir nur ans Geld gedacht hätten, dann hätten wir an diesem Ort eine weitere Wohnanlage gebaut. Aber wir beschäftigen uns mit der IT-Branche, Startups und deren Umsiedlung zu uns, IT-Ökosysteme rund um UNIT.City. Wir halten derzeit rund 300 IT-Veranstaltungen pro Jahr ab.

Zahlreiche Veranstaltungen zu IT-Themen und die Arbeit vieler Unternehmen an einem Ort sollten die Entwicklung der gesamten Branche unterstützen. UNIT.City muss junge Unternehmen und Gründer davon überzeugen, in der Ukraine zu bleiben.

Bakhmatov: In der UNIT.City arbeiten aktuell etwa 100 ukrainische Startups. Junge Projekte müssen das Land nicht verlassen, denn in Kiew finden Sie sowohl die nötige Finanzierung als auch geeignete Partner.

Das Wichtigste für die Startups sind die Gerichtsbarkeit und Steuer. Wenn Ihr Startup in Berlin registriert ist, ist diese Rechtsprechung für Sie wahrscheinlich eher "unbequem". Und niedrige Steuern findet man eher in Delaware, Zypern oder in einem anderem Niedrigsteuerland.

Ihr Produkt muss sicher sein. Das geistige Eigentum der starken ukrainischen Startups wird höchstwahrscheinlich nicht in der Ukraine lizenziert bzw. mit Rechtsmitteln geschützt. Dennoch ist es nicht notwendig das Land gleich in Richtung Deutschland oder USA zu verlassen. Die Forschung und Entwicklung kann auch in Kiew, Charkiw oder Winnyzja bleiben. Den Vertrieb und das Marketing sollte man jedoch besser in den Vereinigten Staaten aufstellen.

Man setzte in der Ukraine ein ehrgeiziges Ziel, Bedingungen zu schaffen, die mit Silicon Valley vergleichbar sind. UNIT.City beeindruckt mit der Größenordnung, von der europäische IT-Cluster nur träumen können.

In Deutschland kämpft man mit ähnlichen Problemen, denn die Projekte und das Personal blicken auf die Vereinigten Staaten. Wie man Talente und Entwicklungen an Europa binden kann, das ist für viele eine schmerzliche Frage. In der Ukraine versucht man trotz aller Probleme, dem Status eines Entwicklungslandes zu entkommen und zu einem der führenden europäischen IT-Standorte zu werden.

 

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