Lviv IT Arena 2018 - auf dem Weg in die Karpaten

Noch am Anfang des Jahres spielte ich mit den Gedanken, eine IT-Konferenz in Osteuropa zu besuchen. Nach einer kurzen Recherche tauchte der Name "Lviv IT Arena" auf – es sollte eine der größten IT-Events in der Region sein.

Die erste Konferenz fand im Jahr 2014 statt und wuchs von Jahr zu Jahr. Im letzten Jahr wurde die Veranstaltung von ca. 2.300 Besuchern besucht – diesmal wurden fast doppelt so viele erwartet. Mehr als 100 Referenten sollten in diesem Jahr die Vorträge an vier thematischen Bühnen halten. Die Auswahl an Speakern hinterließ einen beeindruckend guten Eindruck. Die Organisatoren luden interessante und aktuelle Speaker ein. Zuletzt war der berühmte und damals noch "frei herum laufende" Boss von Cambridge Analytica Alexander Nix zu Gast bei Lviv IT Arena.

Lviv – Lvov – Lemberg

Bevor wir überhaupt von Lviv sprechen, muss man erst klären, wie man es richtig schreibt. Lviv oder Lwiw steht für die ukrainische Schreibweise und genau mit dieser wollen die Ukrainer sich etablieren. Lvov oder Lwow – die rein russische Schreibweise – noch aus Sowjetzeiten – und sie wird immer seltener benutzt. Gut so.

Lemberg – deutsche Schreibweise, man könnte sogar präziser sagen: österreichische Schreibweise, die auch in Deutschland sehr verbreitet ist. Lemberg war die Hauptstadt der Provinz Galizien in der Habsburger K&K Monarchie und galt neben dem Wien und Budapest als eine der einflussreichsten Städten in ganz Osteuropa.

Die Hauptstadt von Galizien Lemberg wartet auf westliche Touristen

Nach dem ersten Weltkrieg war Lemberg Teil der Zweiten Polnischen Republik und nach dem zweiten Weltkrieg kehrte die Stadt zurück zur Ukraine, damals noch UdSSR. Lviv-Lemberg ist heute eine der schnell wachsenden Städte in der Ukraine, die aktuelle Einwohnerzahl stieg auf derzeit ca. 750.000. Die Stadt zieht Millionen von Touristen an und versucht sich als IT-Hauptstadt der Ukraine zu etablieren. Das ist der Grund, warum man ausgerechnet in Lviv eine Konferenz organisiert, die die IT-Events in der ukrainischen Hauptstadt Kiew übertreffen sollte.

Timing, Preise, Organisation

Die Konferenz findet immer am Ende September / Anfang Oktober statt. Gutes Timing, denn die Urlaubszeit ist schon vorbei, aber man kann noch viele sonnige Tagen genießen. Die Dauer beträgt 3 Tagen und der erste Tag ist ein Freitag – gut gewählt im Vergleich zu vielen deutschen und europäischen Konferenzen, die oft während der Woche stattfinden und zu viel Arbeitszeit kosten.

Am Flughafen Lviv landen täglich die Flüge aus Berlin, München oder Wien. Und gleich nach der Konferenz kündigte Ryanair zwei weitere Flüge nach Lemberg von Memmingen (bei München) und Niederrhein (bei Duisburg) noch in diesem Jahr an. Und im Dezember kommt eine Flugverbindung zwischen Lwiw und Frankfurt-Hahn hinzu.

Die Preise für eine Unterkunft sind sehr moderat und das Angebot an Hotels oder Ferienwohnungen ist überraschend groß. Eine Grafitti vor dem Hotel lud in die Karpaten ein - Lviv liegt an den Ausläufern der Karpaten und zieht damit viele Touristen an. Zwar wurde die Grafitti im patriotischen Militärstil erstellt, aber der Krieg mit Russland ist hier nicht zu spüren – die Frontlinie verläuft mehr als 1.000 Kilometer weiter östlich. Nur manchmal trifft man Menschen in Militäruniform. Alle geopolitischen Fragen können leicht mit jedem beliebigen Taxifahrer geklärt werden. Es erinnerte mich irgendwie an Deutschland :)

Cafés und alter Habsburger Flaire

Ich war zum ersten Mal in Lwiw und bin positiv überrascht worden – viele Cafés und Restaurants im Zentrum kämpfen um jeden Tourist mit einer guten Auswahl an Süßigkeiten, Weinen oder Speisen. Mit einer besonders großen Auswahl an Kaffeesorten etabliert sich Lviv als Kaffee- und Chocolaterie- Hauptstadt Europas. Damit befindet sich die Stadt nahezu auf Augenhöhe mit Wien. 

Die Architektur im Zentrum erinnert an die alten, glorreichen Zeiten der österreichischen Monarchie. An manchen Orten sind noch die Spuren der ehemals polnischen Geschichte zu sehen und polnisch wird sehr oft gesprochen. Lwiw liegt sehr nah an der polnisch-ukrainische Grenze und lockt immer mehr polnische Touristen an.

Allerdings muss man schon sagen, dass die gesamte Infrastruktur an manchen Stellen sehr marode aussieht. Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, umso öfter sieht man Objekte sowjetischer Bauweise, die man in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland zu sehen bekommt.

Der gesamte Eindruck ist trotzdem positiv – hier sieht man auf so einem kleinen Areal eine bunte Mischung aus einer glorreichen Vergangenheit, einer quirligen, modernen Gegenwart und einer hoffnungsvollen Zukunft. 

1. Tag: Eröffnung und erster Eindruck

Morgens brachten die Shuttlebusse zahlreiche Gäste vom Stadtzentrum zum Veranstaltungsort – einem neuen Stadion "Arena Lviv", das erst zur Fußball EM-2012 gebaut wurde. Man merkte gleich, dass es die Veranstalter ernst meinten, als sie von einer verdächtig hohe Besucherzahl sprachen: zahlreiche Bühnen lockten viele Gäste. Der reguläre Preis für das Ticket lag bei ca. 100 Euro für die early birds Bestellung und bis zu 130 Euro für Otto-Normal-Besucher. Es gab auch Tickets für Executive Holders für ca. 400 Euro, damit man den gesonderten Lounge-Bereich betreten konnte. Für diese Gäste wurde am Tag 0 ein Treffen im Restaurant organisiert, damit man die einheimische IT-Elite besser kennen lernen konnte.

Viele Firmen versuchten gleich vor Ort neue Mitarbeiter zu finden – aktuell wird um jeden IT-Spezialist hart gekämpft. Die Firmen vor Ort arbeiten meistens für ausländische Anbieter. Die ukrainische IT-Branche versucht sich von IT-Outsourcing in Richtung IT-Outstaffing zu entwickeln. Deshalb sind erfahrene Mitarbeit sehr begehrt. Die Nachfrage kann man förmlich in der Luft riechen. 

Es ging aber nicht nur um das HR-Battlefield. Manche Firmen wollten einfach Präsenz zeigen und über die erfolgreichen Projekte erzählen. Das Management Team vor Ort (inklusiv CTOs, CEOs etc.) war immer bereit über die Firma, Technologien und die gesamte IT-Welt zu sprechen. Dafür sorgte eine insgesamt gute und erholsame Atmosphäre.

Nach einer kurzen Eröffnung ging es los. Zunächst war jeder Teilnehmer gefordert, die passende Veranstaltung auszusuchen – leider liefen viele interessante Präsentationen parallel. Daher musste man zwischen Technology-, Business-, Product- und Startup-Stage auswählen. Eine spezielle App half den Besuchern sich besser zu orientieren – erst nach der Konferenz merkte ich, wie hilfreich die aktuellen Informationen, Listen der Besucher waren.

Alle Präsentationen wurden strikt auf Englisch gehalten. Diese Sprache war oft in den Pausen zu hören. Gefühlte 10-20% aller Besucher waren ausländische Gäste. 

Nach so einem informations- und kontaktreichen Tag wird man müde. Aber es ist Freitag und die Stadt bleibt bis in die frühen Morgenstunden wach und es ist immer etwas los – kein Vergleich zu so manch langweiligen westeuropäischen Metropolen, die ab 22:00 Uhr "dicht machen". Speziell für alle Teilnehmer wurde eine after party organisiert. Gute Idee, wenn man noch Energie übrig hat :)

Meine Highlights des Tages: Martin Viilig (CEO bei Taxify), Eran Lasser (DAN.IT, Diskussion über IT-Welt in Israel), Myriam Joire (tnkgrl)

2. Tag: ukrainische Startups 

Zu Beginn des zweiten Tages widmete ich mich den ukrainischen Startups, die leidenschaftlich versuchten, auf sich aufmerksam zu machen. Vielleicht keine so gute Location für so viele junge Unternehmer und ziemlich weit entfernt vom größten Veranstaltungs-Saal entfernt. Viele Startups wirkten so, als seien sie noch nicht reif für den internationalen IT Markt, aber man konnte die Perspektive erkennen. Leider muss man auch sagen, dass die Investoren vor Ort eher sehr zurückhaltend agierten. 

Viele Teilnehmer hofften auf den einheimischen Markt, was angesichts einer schwachen Wirtschaft eher unrealistisch scheint. Allerdings gab es ein paar Ideen, die man auch ruhigen Gewissens auf dem deutschen Markt ausprobieren könnte. Über die Besten davon, werde ich noch schreiben, aber es ist schon sehr empfehlenswert den Blick auf solche Hidden Champions zu werfen. Und genau das macht Estland auf staatlichem Niveau. Diese kleine baltische Republik warb hier sehr aktiv mit dem speziellen StartUp-Visum. Für viele junge Nicht-EU-Firmen könnte das EU-Land Estland zum Sprungbrett auf den Weltmarkt werden. Warum macht Estland das, aber Deutschland nicht? Gute, aber derzeit noch offene Frage.

Es war ein typischer Tag einer IT-Konferenz, an dem die werbenden Firmen so viel wie möglich Aufmerksamkeit gewinnen wollten. Viele Besucher wandten sich entspannenden Dingen, insbesondere den zahlreichen Verlosungen zu. Manche Besucher wurden von IT-Konferenz selbst abgelehnt und widmeten sich den zahlreichen Verlosungen. Trotzdem konnte man immer wieder einen ruhigen Ort für das Gespräch oder ein Interview finden.

Meine Highlights des Tages: Semyon Dukach (One Way Ventures), Valentyn Pylypchuk (Google)

3. Tag: Erholung durch Meet-Ups

Eigentlich wollte ich an diesem Tag nichts mehr unternehmen, aber die App für die IT Arena erinnerte mich an die zahlreichen Meet-Ups am letzten Tag. Viele interessante Events, die mitten in der Stadt stattfanden. Mit etwas Glück konnte man wirklich interessante Events ausfindig machen, wobei es besser wäre, sich im Vorfeld über die Speaker und Themen ein paar Gedanken zu machen.

Ungefähr nach 2-3 MeetUps schaltet man komplett ab, weil die Aufnahmefähigkeit nachlässt. Es ist Zeit aufzuhören und die Information für sich zu systematisieren. Außerdem schien die Sonne und die Stadt genoss den ruhigen Sonntag. Das immer so hektische Stadtzentrum wird dann zur Fußgängerzone.

Fazit: eine zeit-intensive Konferenz, dessen Besuch sich lohnt. Eine gute Auswahl an Speakern und eine für diese Größe gut organisierte Veranstaltung, die man sich für das kommende Jahr im Kalender vormerken kann. Ich würde gerne noch ein paar Tage als Tourist in dieser Stadt verbringen. Nach Deutschland komme ich mit dutzenden von Visitenkarten, ein paar Ideen zu gemeinsamen Projekten und jede Menge Gesprächsnotizen zurück. 

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